UNDERSTANDING DIGITAL MEDIA

Marshall McLuhan

DIE MAGISCHEN KANÄLE (1964)

Heute werden wir uns mit dem wohl berühmtesten Medientheoretiker des 20. Jahrhunderts, Herbert Marshall McLuhan beschäftigen. Sie kennen vermutlich aus anderen Seminaren seine Hauptthesen, deshalb will ich mich heute nur auf ein paar wenige Aspekte beschränken. Übrigens, die Behauptung, die wir in der ersten Stunden aufgestellt haben, dass nämlich McLuhan einen technikorientierten Theorieansatz verfolgt, bei dem das Wort Medium synonym für das Wort Werkzeug steht, muss man bei genauerem Hinsehen relativieren. Autoren wie McLuhan, Niklas Luhmann, aber auch Boris Groys kann man nicht einfach in eine Schublade packen oder mit einem Etikett versehen. Dafür sind die einfach zu gut und vor allem als Denker zu sehr in Bewegung. Beim heutigen Vortrag will ich ein Experiment machen, nämlich McLuhan gleich durch die Brille zweier anderer Theoretiker lesen. Das ist einmal eben Boris Groys, der ja angeblich für einen phänomenologischen Theorieansatz steht, bei dem alles inklusive Socken und Schuhen zum Medium werden kann und als zweiten Denker eine Soziologen, Bruno Latour, der zusammen mit Peter Weibel im Zentrum für Kunst und Medientechnologie vor einigen Jahren die Ausstellung Iconoclash, Gibt es eine Welt jenseits des Bilderkrieges, kuratiert hat. Da kann ich dann aber wieder auf einige PowerPoint-Folien zurückgreifen, um seinen Vorschlag, wie man mit Bildern der neuen Medien umgehen soll, zu veranschaulichen. Zunächst jedoch direkt zu McLuhan. Aus der Audio-CD, die wir eingangs gehört haben, ist wohl klar geworden, dass McLuhans Idee, die Medien seien Ausweitungen – Extension – des menschlichen Körpers bzw. des Menschen starke Ähnlichkeit mit den Ektoplasmen der Medien, wie wir Sie aus der letzten Stunde kennen, zu tun haben könnte. Das war bei mir ursprünglich nur ein Verdacht, ich habe dann aber in der lesenswerten Biografie über McLuhan von Philip Merchand einige erstaunliche Einträge gefunden. Mc Luhan war Kanadier, das sollte man kurz erwähnen, da ihn viele Leute einfach für einen Amerikaner halten. Er trägt auch den Spitznamen „Kanadas geistiger Komet“, was kein besonders gutes Licht auf die kanadischen Intellektuellen wirft. Ich kenne ehrlich gesagt auch sonst niemand aus Kanada, aber man lernt ja nie aus. McLuhan war ein fleißiger Tagebuchschreiber, die meisten dieser Tagebücher sind noch unveröffentlicht und lagern in Kisten in einer kanadischen Bibliothek. Sein Biograph hat die aber eingesehen und ein paar Auszüge bekanntgegeben, eben in dieser Biografie oder im Netz. Irgendwo in einer Tagebuchstelle steht z.B., dass McLuhan von der Lektüre von Hitlers Mein Kampf beeindruckt war. Ein anderer Eintrag berichtet davon, dass er während seines Grundstudiums eine Vorlesung zu übersinnlichen Phänomenen wie Telekinese und Ektoplasma besucht hat. Dabei hat er festgestellt, dass davon eine gefährliche Faszination ausging und dann eben beschlossen, diese Dinge fortan zu meiden. Das war im Januar 1930. Menschen ändern sich und sein Buch über die Medien erschien über 30 Jahr später. Auf Deutsch trägt Understanding Media noch den Untertitel Die magischen Kanäle und das verrät doch so einiges. Mit diesen Ausweitungen und den Verstörungen, die dadurch hervorgerufen werden, beginnt auch das Buch. Letzte Stufe in dieser ständigen Ausweitung des Menschen ist die Ausweitung des Zentralnervensystems und somit auch des Bewusstseins, was für McLuhan durch die Tatsache eines weltumspannenden vor allem auf der Elektrizität beruhenden Kommunikationsnetzes hervorgerufen wird. Plötzlich, so die Hauptthese, kommt es statt der jahrtausendelangen Explosion zu einer Implosion, da durch dieses weltweite Kommunikationsnetz, die Ausweitung des Zentralnervensystems, Raum und Zeit aufgehoben scheinen. Wie gesagt, das formuliert McLuhan noch vor der Zeit des World Wide Web. Durch diese Implosion kommt es zu einem Rückfall in vergangene Zeiten, wir leben wieder ganzheitlich und mythisch, müssen uns für Dinge engagieren, von denen wir zuvor nie gehört haben. Bestimmt gibt es Tsunamis im Pazifik schon länger als ein paar Jahre, wir haben zuvor vermutlich nur noch nicht davon Kenntnis genommen. So wird die ehemals große weite Welt zum Globalen Dorf, das ist McLuhans zweite wichtige Botschaft an die Menschheit. Der wohl am meisten zitierte Satz der Medientheorie ist aber Das Medium ist die Botschaft. Ich kenne nicht viele Autoren, die es geschafft haben, mit so einer knappen Formulierung Weltruhm zu erlangen. Vielleicht der Philosoph René Descartes mit dem Satz Ich denke, also bin ich. Aber sonst fällt mir gerade niemand ein. Der Satz ist auch deshalb so faszinierend, weil ihn kaum jemand wirklich versteht. Übrigens Understanding Media ist ein tolles Buch, das man dazu auch noch gut lesen kann. McLuhan war in den 60er Jahren jemand, der völlig schräg zur sonstigen spießigen akademischen Welt stand. Er fand z.B. Werbung gut und interessierte sich als Professor als einer der ersten für Werbung. Aber, und jetzt kommt’s, er war auch sonst ein seltsamer Vogel. McLuhan war alles Mögliche, nur kein Freund der Medien oder schränken wir das noch ein bisschen ein, kein Freund der neuen Medien, wie Radio oder Fernsehen. McLuhan war Literaturwissenschaftler und in seinen Büchern über Medien kommen Schriftsteller wie Shakespeare, Goethe, Wynham Lewis oder James Joyce viel häufiger vor als etwas Leute wie Zuse, Shannon oder Turing. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie immer wieder auf Dichtung stoßen. Gleichzeitig finden sich so wundervolle Sätze wie „Als Ausweitung des Menschen ist der Stuhl eine spezialisierte Ablagerung des Gesäßes, eine Art Ablativus absolutes des Hinterteils, während das Sofa das ganze menschliche Wesen ausweitet. Da müssen Sie Anfang der 60er Jahre lange suchen, um jemand zu finden, der so schreibt und spricht. McLuhan war totaler Spießer und zur gleichen Zeit extrem hip. Er betete als gläubiger Katholik fast täglich den Rosenkranz, war ein strenger Anhänger körperlicher Züchtigung, das heißt er verprügelte regelmäßig seine Kinder, denen er auch den Genuss von Radio und Fernsehen verbot. Vielleicht war es gerade diese Mischung aus extrem konservativen Ansichten und einer unglaublichen Neugier, die ihn so außerordentlich gemacht hat. Egal, wir kommen jetzt zum Medium und der Botschaft gelesen durch die Brille von Boris Groys. Was meint jetzt aber dieser eigenartige Satz, The Medium is the Message? Er behauptet, dass das Medium, in dem vom Subjekt des Sprechens (sagen wir das mal etwas komplizierter, um nicht gleich wieder bei irgendwelchen simplen Sender-Empfänger Modellen zu landen, die ich kaum noch ertragen kann) eine Aussage gemacht wird, gleichzeitig und parallel dazu seine eigene Aussage macht. Und die hat mit dem Content, wie man den Inhalt heute so schön nennt, rein gar nichts zu tun. Im Gegenteil, wir konzentrieren uns auf den Inhalt, nämlich die beabsichtigte Botschaft, und verpassen deswegen die unterschwellige und eigentliche Botschaft des Mediums. Wir bekommen sozusagen eine Botschaft hinter der Botschaft. Wir behandeln im Masterstudiengang gerade das Thema Viren und virale Infektion und mit der kann man das sehr schön verdeutlichen. Stellen Sie sich vor, einer von uns hätte eine Grippe, von der er selbst im Augenblick oder wir noch gar nichts weiß. Wir tauschen hier kluge Gedanken aus, kommunizieren in einem Hochschulseminar, aber gleichzeitig tauschen wir auf den materiellen Ebenen Viren untereinander aus. Diese unterschwellige Botschaft bleibt so lange verborgen, bis ich nach Hause komme und mich plötzlich krank fühle. Genauso ist das mit der verborgenen Botschaft des Mediums. Die verändert mich auch, ohne dass ich das zunächst merke. Diese Botschaft ist eine nicht menschliche, manchmal sogar eine unmenschliche Botschaft. Eigentlich widerspricht der Satz The Medium ist the Message der Annahme von Medien als Ausweitungen des menschlichen Körpers. Die Botschaft des Medienträgers sind z.B. Elektroströme. Da ist eine unterschwellige Energie am Werke, die unser Leben ganz anders verändert, wie wir das meinetwegen mit unseren bewussten Botschaften vorhatten. Da gibt es eine wunderschöne Stelle bei McLuhan über einen General David Sarnoff, der bei einer Preisverleihung zum Thema Medien folgendes gesagt haben soll: „Wir neigen nur zu leicht dazu, die technischen Mitteln zum Sündenbock jener zu machen, die sie handhaben. Die Schöpfungen der modernen Wissenschaft sind an sich weder gut noch schlecht; die Art und Weise aber, wie sie verwendet werden, bestimmt ihren Wert.“ (Understanding Media, S. 26/27). McLuhan spürt also sehr deutliche diesen nichtmenschlichen Ursprung der Medien, ihre unmenschliche Seite und möchte die Medien gerne wieder kontrollieren, indem er sie zu vermenschlichen versucht. Er will die Medien wieder verstehen, damit er nicht ein Verhältnis der Angst wie zu einem Alien entwickelt. McLuhan teilt die Medien – das war neben den Ausweitungen, dem globalen Dorf und dem Medium als Botschaft seine vierte große Tat – in heiße und kalte Medien. Das klingt wie eine Liebesbeziehung z.B. zu einer attraktiven Frau, die heiß begehrt wird, aber vielleicht mit Kälte reagiert. Ein weiteres Buch von McLuhan trägt den Titel Die mechanische Braut, man könnte das auch in das elektronische Callgirl umformulieren. Also, die Medien sollen wieder menschlich werden, auch wenn man sie nie ganz erobern kann. McLuhan glaubt, dass die Medien zumindest aufrichtig sind, sie zeigen ihr verborgenes Inneres, wenn man nur richtig danach fragt. Dieses verborgene Innere ist so etwas wie ein roter Faden, der sich mittlerweile durch einige meiner Veranstaltung hier an der Hochschule zieht. Gestern haben wir in IMI diskutiert, ob es beim Menschen einen festen Kern gibt, sozusagen ein verborgenes Inneres, das immer gleich bleibt, auch wenn man alles Zufällige wie z.B. Kleidung, Frisuren oder sonstigen oder zeittypischen Schnickschnack ausschaltet. Der Vorgang ist immer der gleiche. Man muss alles Überflüssige wegdenken oder besser abziehen und dann bleibt am Ende das übrig, was wirklich Bestand hat. Das Ich oder im Falle von McLuhan die wahre Botschaft des Mediums. Wie geht das nun in der Praxis? Durch einen Vergleich zwischen unterschiedlichen Medien. Die bewusste, beabsichtigte Mitteilung, die der Sprecher medial formuliert, wird von ihrem medialen Ausdruck gleichsam abgezogen, man vergleicht die gleiche Formulierung in unterschiedlichen Medien. So kann man die mediale Botschaft mit einer simplen Formel relativ leicht ausrechnen: Die mediatisierte Botschaft minus der intendierten, also bewusst beabsichtigten Botschaft, ergibt die Botschaft des Mediums. Man stellt also einen intermedialen Vergleich an. Geht das aber wirklich? Kann man die Botschaft des Mediums so einfach von der individuellen Botschaft trennen? Wahrscheinlich nicht, aber noch interessanter ist die Frage, woher dieser Glaube eigentlich kommt. Das wiederum ist sehr einfach. Dieser Glaube ist der Glaube der klassischen Avantgarde. Den Ausdruck Avantgarde haben Sie vermutlich schon einmal gehört, vielleicht im Zusammenhang mit zeitgenössischer Musik oder auch den Medien. Die Avantgarde war eine kleine Gruppe von Künstlern zu Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich für eine Art geistige Vorhut hielt. Der Begriff selbst stammt aus der Militärsprache, dort ist die Avantgarde eine kleine Gruppe von Soldaten, die sozusagen als Vorhut, hinter den feindlichen Linien operiert. Erst wenn die Avantgarde ihre Aufgabe erfüllt hat, z.B. die feindlichen Truppen auszuspähen, folgt das Gros der Truppen auf das nun sichere Terrain. Und so wollten sich auch einige Intellektuelle dieser Zeit verstehen. Das Intellektuellenleben ist ja grundsätzlich ziemlich ungefährlich. Man kann in der Fachwelt sein Gesicht verlieren, aber normalerweise nicht sein Leben. Das sind nur symbolische Kämpfe, die auf der körperlichen Ebene überhaupt keine Folgen haben. Mit Ausnahmen: wenn man zu viel liest, bekommt man eventuell einen steifen Nacken oder Kopfschmerzen, aber ansonsten ist dieses Leben doch eher unsexy. Es sei denn, man beschreibt sich mit militärischen Begriffen wie dem der Avantgarde. Die Avantgarde ging z. B. her und hat alle Regeln ihres Metiers gebrochen zumindest die wichtigsten. Nehmen wir die Regeln der Perspektive; oder sie verbrennt die Leinwände oder zerhackt eine Skulptur. Interessant ist, was man damit erreichen wollte. Man wollte die Botschaft des Mediums, in diesem Fall der Malerei oder Bildhauerei verstehen. Also man schaltet all das aus, was in einem anderen Medium auch als Botschaft funktionieren würde, Gegenstände oder Lebewesen wie eine Kuh auf der Weide. Die kann ich malen, die kann ich aber auch fotografieren oder sogar eine Plastik von ihr machen. Also die Kuh muss weg. Und je mehr ich wegnehme desto näher komme ich dem, was nur dieses spezifische Medium kann. Das Medium der Malerei, nicht das Material, sondern das Medium sind die plane Leinwand und die zweidimensionalen Formen und Farben, die ich darauf darstellen kann. Eines der berühmtesten Gemälde der modernen Kunst ist das Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch oder besser das Schwarze Quadrat auf weißem Grund; das blieb nämlich übrig als Malewitsch alles Gegenständliche, aber auch alle Formen und Farben aus dem Bild verbannt hatte. Sozusagen sphärisches Rauschen und sonst nichts. Bei der Dichtung ist es der Klang der Worte, genauso wie bei der Musik die reinen Klänge. Bei der Skulptur die Dreidimensionalität und das Blockhafte usw. Und genau von dieser künstlerischen Avantgarde hat McLuhan die Idee, dass das Medium die Botschaft ist, übernommen. Er schreibt das sogar gleich zu Anfang, was außer Boris Groys bisher niemand so richtig aufgefallen ist. McLuhan nennt den Kubismus, also das künstlerische Verfahren bei dem die Zentralperspektive durch viele Perspektiven innerhalb eines Bildes ersetzt wurde. Die Kubisten haben den Bildraum zusätzlich abgeflacht und somit die Zweidimensionalität der Malerei betont. McLuhan schreibt, dass der Kubismus die dreidimensionale Illusion zerstört hat und dadurch das mediale Verfahren der Malerei offengelegt hat: „Mit diesem Griff nach dem unmittelbaren, totalen Erfassen verkündete der Kubismus plötzlich, dass das Medium die Botschaft ist.“ (Understanding Media, S. 30) So werden Gemälde und nicht Illusionen wie eine Kuh auf der Weide geschaffen. Und da hat sicherlich eine Verdrängung stattgefunden, wenn wir die Suche nach dem Medialen heutzutage mit Vorgängen in den digitalen Medien gleichsetzen. Vielleicht waren die Experimente der Avantgarde einfach zu handwerklich – man klebt eine Fahrkarte oder ein Stuhlgeflecht in ein Bild oder zerschneidet etwas mit der Schere – das klingt stark nach Kunstunterricht Gymnasium 5. Klasse, aber früher war so etwas echt der Hammer, ein Verstoß gegen die allgegenwärtigen Konventionen, ein Schock. McLuhan klaut diese Idee also von der Avantgarde, seine Leistung ist dann, diese sozusagen avantgardistische Grundfigur des Medialen auf die ganze Bilderwelt der modernen Medien übertragen zu haben. McLuhan ist aber auch ein Medien-Guru, er ist sozusagen im Gegensatz zu vielen, die nur dumme oder unbedeutende Botschaften in Medien äußern, derjenige, der die wahre Botschaft kennt: Das Medium ist die Botschaft. Alles geht im Rausch der Medien unter nur nicht diese Botschaft, das ist ein bisschen wie bei Asterix am Anfang, wo alle den Römer unterworfen sind, nur ein kleines gallisches Dorf… Es geht hier tatsächlich um die Hoffnung auf Unsterblichkeit. McLuhan verzichtet darauf, etwas Eigenes auszudrücken, er hat im Prinzip keine eigene Botschaft, aber er hat die Botschaft des Medialen zu seiner eigenen gemacht, das Medium ist die Botschaft. Wer diese Botschaft verkündet, kann nicht durch die Medien entmachtet werden, sondern lebt zumindest solange wie diese Medien selbst überdauern. Das ist der Übergang zu dem dritten Autor, den ich heute vorstellen möchte, nämlich zu Bruno Latour und seinem Buch Iconoclash, Gibt es eine Welt jenseits des Bilderkrieges? Dieses Buch handelt vom Ikonoklasmus, der Bilderzerstörung und den verschiedenen Typen von Bildzerstörern. McLuhan ist in der Tat ein Ikonoklast. Er will die Bilder zerstören, um so an die verborgenen Botschaften der Medien, die immer währen, heranzukommen. Schauen wir mal, was Latour macht.

 

Zum Weiterlesen:

Marshall McLuhan (1995): Die magischen Kanäle. Unsterstanding Media

Philip Marchand (1999): Marshall McLuhan

Boris Groys (2000): Unter Verdacht